Erste Schritte mit Systems Thinking
“A systems approach begins when first you see the world through the eyes of another.” (C. West Churchman).
Wen wir das Wort “Systems” oder im deutschen “Systeme” hören, ist es nicht selten der Fall das wir über einzelne, zusammenhängende Objekte oder einfach “Dinge” denken. Wir sprechen über ein Gesundheitssystem, Bildungssystem oder Wirtschaftssystem und treffen Entscheidungen was und was nicht Bestandteil dieser System sind. Diese Abgrenzungen helfen uns, sind aber auch Ursache von Missverständnissen und Konflikten. In einer Welt in der historische sowie physische Grenzen nahezu überwunden sind und der Bedarf an Kollaboration sowie Kooperation zwingend notwendig ist, müssen wir unweigerlich besser darin werden, die Welt durch die Augen unserer Mitmenschen sehen.
Systemisches Denken ist als Beziehung zwischen Menschen, physischen sowie Ideologischen Elementen und Ihrer Umwelt, vice-versa zu verstehen. Mit den ersten Schritten ist es unser Ziel Menschen zu helfen diese Beziehungen zu betrachten, besser zu verstehen und so hoffen wir, bessere Entscheidungen zu treffen.
Einführung in das Systemische Denken
Das Systemdenken ist ein ganzheitlicher Ansatz, um komplexe Probleme und Systeme zu verstehen. Anstatt einzelne Teile isoliert zu betrachten, analysiert man die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Elementen eines Systems. Diese Betrachtungsweise ist entscheidend, um Themen zu begreifen, die von globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel bis hin zu industriellen Prozessen und einfachen Alltagsproblemen reichen. In einem global vernetzten Wirtschaftssystem kann zum Beispiel die Entscheidung eines Unternehmens in Asien Auswirkungen auf Zulieferbetriebe in Deutschland oder Kunden in der Schweiz haben. Systemdenken hilft, solche Verflechtungen zu erkennen und effektiver mit ihnen umzugehen.
Im Folgenden werden fünf Kernprinzipien des Systemdenkens vorgestellt: Interkonnektivität, Rückkopplungsschleifen (Feedback-Schleifen), Emergenz, Anpassungsfähigkeit und Hebelpunkte. Jedes dieser Prinzipien werden wir erläutern und anhand von Beispielen aus weltweiten Kontexten, der Industrie – mit Fokus auf Asien, Deutschland, Großbritannien und der Schweiz – sowie aus alltäglichen Situationen veranschaulicht.
-
Interkonnektivität bezeichnet die wechselseitige Verbundenheit aller Teile eines Systems. Das Verhalten eines Elements kann die anderen Elemente und somit das Gesamtsystem beeinflussen. Durch diese Vernetzung entstehen oft komplexe, für uns schwer fassbare Wirkungsmechanismen sowie daraus resultierende (emergente) Situationen bzw. Auswirkungen dieser Wechselwirkung.
Ein globales Beispiel ist der Klimawandel: Treibhausgasemissionen in einem Land beeinflussen das weltweite Klima und führen zu Folgen, die über Ländergrenzen hinweg spürbar sind. Ebenso zeigt die globale Lieferkette die Interkonnektivität der Industrie: Ein Bauteilmangel in einem asiatischen Elektronikwerk kann Produktionslinien der Automobilindustrie in Deutschland zum Stillstand bringen. Im Alltag wird Interkonnektivität beispielsweise deutlich, wenn man an städtischen Verkehr denkt – fällt z. B. eine Ampelanlage aus oder es kommt zu einem Unfall auf einer Hauptstraße, hat das unmittelbare Auswirkungen auf den Verkehrsfluss insgesamt.
Dieses Prinzip verdeutlicht, dass man zur Lösung von Problemen das gesamte Beziehungsgeflecht betrachten muss und nicht nur einzelne Teile.
-
Wählen Sie ein einfaches Alltagssystem (z. B. Ihren morgendlichen Ablauf oder die Zubereitung einer Tasse Kaffee) und analysieren Sie dessen Bestandteile sowie deren Zusammenspiel. Listen Sie die Schlüsselkomponenten (Akteure, Objekte, Schritte) auf und notieren Sie, wie diese miteinander interagieren oder sich gegenseitig beeinflussen.
Diese Übung schärft Ihr Verständnis dafür, wie einzelne Teile zusammenwirken, um als Gesamtsystem zu funktionieren.
-
Wie in dem Absatz der Interkonnektivität beschrieben, beschreibt eine Emergenz das Entstehen neuer Eigenschaften oder Verhaltensmuster auf Systemebene, die nicht in den einzelnen Elementen zu betrachten sind. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – dieses oft zitierte Prinzip wird durch Emergenz illustriert.
Durch das Zusammenspiel vieler Komponenten können Phänomene auftreten, die unerwartet oder qualitativ neu sind. Ein einfaches Beispiel ist eine Beziehung zweier Menschen die durch Freude oder auch Leid entstehen lassen kann. Oder ein Verkehrsstau: Kein einzelnes Auto „erzeugt“ einen Stau absichtlich, doch aus dem Zusammenspiel Hunderter von Autos kann plötzlich ein Stau entstehen, der als Gesamtereignis eigene Eigenschaften hat (etwa die wellenförmige Ausbreitung des stockenden Verkehrs).
In Unternehmen zeigt sich Emergenz etwa in der Unternehmenskultur: Die Kultur ist ein emergentes Ergebnis der Interaktionen, Werte und Verhaltensweisen aller Mitarbeiter – sie lässt sich nicht auf eine einzelne Person oder Vorschrift zurückführen. Ein weiteres Beispiel findet man in technologischen Innovationszentren wie dem Silicon Valley oder in modernen asiatischen Metropolen: Das Zusammenspiel von Start-ups, etablierten Firmen, Forschungsinstituten und Investoren führt zu einem innovativen Umfeld, in dem Trends und Technologien entstehen, die kein Akteur alleine hervorbringen könnte.
Emergenz verdeutlicht, warum die Analyse isolierter Teile oft nicht ausreicht – man muss verstehen, wie das Zusammenwirken der Teile zu neuen, möglicherweise überraschenden Ergebnissen führt.
-
Betrachten Sie eine vertraute Situation oder ein Problem aus mindestens zwei unterschiedlichen Perspektiven. Analysieren Sie beispielsweise, wie verschiedene Beteiligte – etwa ein Kunde, eine Managerin oder ein Mitarbeiter – ein bestimmtes Szenario am Arbeitsplatz jeweils wahrnehmen. Halten Sie fest, welche Anliegen, Prioritäten oder Wahrnehmungen sich aus jeder dieser Sichtweisen ergeben.
Diese Herangehensweise verdeutlicht die Komplexität des Systems und zeigt, wie wichtig vielfältige Blickwinkel für ein ganzheitliches Verständnis sind.
-
Anpassungsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit eines Systems, sich bei Veränderungen der Umwelt oder internen Bedingungen neu einzustellen und weiterzuentwickeln. Viele komplexe Systeme – insbesondere biologische oder soziale – sind dynamisch und verfügen über Mechanismen, die es ihnen erlauben, auf Störungen oder neue Anforderungen zu reagieren. Ein anschauliches globales Beispiel ist ein Ökosystem: Nach einem Waldbrand etwa regeneriert sich der Wald über Jahre hinweg; Pflanzen- und Tierarten passen sich an die veränderten Bedingungen an, sodass das Ökosystem langfristig wieder ins Gleichgewicht findet.
In der Industrie ist Anpassungsfähigkeit ein Schlüssel zum langfristigen Erfolg. So hat die deutsche Automobilbranche in den letzten Jahren begonnen, sich stark umzustrukturieren, um auf die Herausforderungen der Elektromobilität und der digitalen Vernetzung zu reagieren. Traditionelle Automobilunternehmen investieren nun in Batterieentwicklung, Software und neue Mobilitätsdienste, um sich an die veränderte Marktlandschaft anzupassen. In ähnlicher Weise mussten Schweizer Uhrenhersteller in den 1970er Jahren auf die Quarzrevolution reagieren: Durch Innovation (etwa die Einführung der Swatch als preiswerter Qualitätsuhr) und eine Neuausrichtung auf hochwertige mechanische Uhren konnte sich die Branche an den disruptiven Technologiewandel anpassen.
Auch im Alltag ist Anpassungsfähigkeit wichtig. Menschen, die durch neue Lebensumstände – wie einen Umzug ins Ausland oder den Wechsel in eine andere Branche – vor Veränderungen stehen, entwickeln neue Fähigkeiten und Strategien, um in der veränderten Situation zurechtzukommen. Systemdenker achten besonders auf diese Flexibilität und Resilienz. Maßnahmen, die ein System verändern sollen, sind nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn das System sich mitverändert oder bestehende Widerstände überwunden werden.
-
Bestimmen Sie klar, welche Elemente zu dem betrachteten System gehören und welche außerhalb liegen. Nehmen Sie das Beispiel aus Übung 2 (oder ein anderes System) und legen Sie die Systemgrenzen explizit fest: Welche Faktoren beziehen Sie mit ein, und welche bleiben außen vor? Wenn Sie z. B. ein Verkehrsproblem in Ihrer Stadt analysieren, entscheiden Sie, ob Sie Aspekte wie Wetterbedingungen oder nationale Verkehrspolitik als Teil des Systems betrachten oder nicht.
Diese Übung macht deutlich, dass die Definition der Systemgrenze Ihre Sicht auf das Problem erheblich beeinflusst.
-
Hebelpunkte sind spezifische Stellen in einem System, an denen schon kleine Eingriffe große Veränderungen bewirken können. Das Konzept geht auf die Systemtheoretikerin Donella Meadows zurück, die darauf hinwies, dass nicht alle Handlungsmöglichkeiten im System gleich wirksam sind – manche Stellschrauben haben eine unverhältnismäßig starke Wirkung auf das Ganze.
Ein klassisches Beispiel auf globaler Ebene ist die Eindämmung des Ozonlochs: Das internationale Verbot von FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoffen) in den 1980er Jahren war ein vergleichsweise kleiner Schritt in Bezug auf die gesamte Weltwirtschaft, hatte aber einen enormen Einfluss auf die Erholung der Ozonschicht. In der Wirtschaft können Hebelpunkte etwa regulatorische Maßnahmen oder technologische Innovationen sein, die eine Branchenlandschaft umwälzen. So hat beispielsweise die Einführung des Mobilfunks in den 1990er Jahren – ein technologischer Hebel – weltweit Kommunikation und Geschäftsmodelle revolutioniert, mit starker Wirkung sowohl in asiatischen Märkten als auch in Europa.
In Unternehmen sucht man Hebelpunkte, um effizient Verbesserungen zu erzielen. Ein Hersteller in Großbritannien könnte feststellen, dass eine Änderung im Lieferkettenmanagement (etwa die Einführung von Just-in-Time-Lieferung mit digitalen Echtzeit-Informationsflüssen) große Produktivitätssteigerungen und Kostensenkungen auslöst – mehr, als wenn er lediglich an vielen kleinen Stellschrauben dreht. Im Alltag kann ein Hebelpunkt ebenso entscheidend sein: Wenn jemand gesünder leben möchte, kann der Fokus auf einen einzigen Schlüsselbereich – zum Beispiel eine konsequente Ernährungsumstellung – eine Kettenreaktion positiver Effekte auf Gewicht, Energielevel und allgemeines Wohlbefinden auslösen.
Das Verständnis von Hebelpunkten hilft dabei, mit begrenzten Ressourcen maximale Wirkung zu erzielen, sei es in der Politik, der Unternehmensstrategie oder bei persönlichen Entscheidungen.
-
Wählen Sie ein Element Ihres Systems und führen Sie ein gedankliches „Was-wäre-wenn“-Szenario durch: Was würde passieren, wenn sich dieses Element verändert?
Betrachten Sie z. B. ein kommunales Recycling-System und überlegen Sie, wie es sich auswirkt, wenn sich die Teilnehmerzahl plötzlich verdoppelt oder wenn ein zentrales Recyclingwerk ausfällt. Antizipieren Sie, wie die übrigen Teile des Systems darauf reagieren und welche neuen Ergebnisse oder Folgewirkungen daraus entstehen könnten. Seien Sie bei diesen Überlegungen ruhig kreativ und beziehen Sie auch unkonventionelle Szenarien ein.
Das Ziel dieser Übung ist es, potenzielle Änderungen und deren systemische Folgengedanklich durchzuspielen – eine Vorgehensweise, die innovatives Denken fördert und hilft, sich auf reale Veränderungen vorzubereiten.
-
Feedback-Schleifen (Rückkopplungsschleifen) sind Rückmeldemechanismen, bei denen ein Teil des Outputs eines Systems wieder als Input in das System zurückgespeist wird. Es gibt zwei Hauptarten: positive (verstärkende) und negative (ausgleichende) Feedback-Schleifen.
Eine verstärkende Rückkopplung führt dazu, dass eine Wirkung sich selbst verstärkt – etwa wenn steigendes Vertrauen in einen Markt zu mehr Investitionen führt, was das Vertrauen weiter erhöht. Ein Beispiel dafür war die Entwicklung von Immobilienblasen: Steigende Preise führten zu vermehrtem Kaufinteresse, was die Preise weiter steigen ließ.
Umgekehrt sind ausgleichende Feedback-Schleifen stabilisierend: Sie wirken Veränderungen entgegen und halten das System im Gleichgewicht. Ein bekanntes Alltagsbeispiel ist das Thermostat einer Heizung: Fällt die Raumtemperatur (Output) unter einen Sollwert, reagiert das Thermostat, indem es die Heizung einschaltet (Input), bis die Temperatur wieder das Gleichgewicht erreicht.
In der Industrie begegnen wir Feedback-Schleifen etwa in Qualitätskontrollprozessen. Wenn in einem britischen Fertigungsbetrieb Fehler in der Produktion entdeckt werden, löst dies umgehend Korrekturmaßnahmen aus, um die Fehlerquote wieder zu senken – ein Beispiel für eine ausgleichende Rückkopplung. Auch Finanzmärkte zeigen Rückkopplungseffekte. Verliert eine große Bank – beispielsweise in London oder Zürich – plötzlich das Vertrauen der Anleger, kann ein Teufelskreis entstehen, in dem immer mehr Investoren ihr Kapital abziehen (verstärkende Rückkopplung), der letztlich das gesamte Finanzsystem destabilisiert.
Das Verständnis von Feedback-Schleifen ist essenziell, um sowohl stabile Zustände (durch negative Rückkopplung) als auch sich aufschaukelnde Prozesse (durch positive Rückkopplung) in komplexen Systemen zu erkennen und gezielt zu steuern.
In der Praxis besteht oft die Tendenz sich mit den positiven Feedback Schleifen zu beschäftigen. Die stärksten Hebelwirkungen liegen sehr oft jedoch in dem kritischen Hinterfragen von potentiellen ausgleichenden oder negativen Schleifen. Die erlaubt Einsichten wie mögliche Ziele frustrieren oder durch Massnahmen ungewünschte Nebeneffekte entstehen.
-
Suchen Sie in einem Ihnen vertrauten System nach Rückkopplungsschleifen. Identifizieren Sie mindestens eine sich verstärkende (selbstverstärkende) und/oder eine ausgleichende (stabilisierende) Schleife.
Ein Beispiel für eine verstärkende Rückkopplung ist eine neue Gewohnheit im Alltag: Regelmäßige körperliche Betätigung kann zu besserem Wohlbefinden führen, was wiederum motiviert, noch mehr Sport zu treiben – ein Kreislauf, der sich selbst verstärkt. Ein Beispiel für eine ausgleichende Schleife ist ein Thermostat: Sinkt die Raumtemperatur, springt die Heizung an; bei Erwärmung schaltet sie sich ab, um eine konstante Temperatur zu halten. Beschreiben Sie, wie diese Rückkopplungsprozesse ablaufen und welche Auswirkungen sie im Zeitverlauf auf das Systemverhalten haben.
Durch diese Übung lernen Sie, zyklische Ursache-Wirkungs-Beziehungen in Systemen zu erkennen, anstatt nur linearen Ablaufketten zu folgen.