Die persönliche Dimension des systemischen Denkens
-
Systemisches Denken wird oft mit Organisationsmodellen, Problemlösungsstrategien oder Innovationsmethoden in Verbindung gebracht. Doch was viele übersehen: Systemisches Denken beginnt nicht mit Tools – es beginnt mit dem Menschen. Mit uns!
Bevor wir andere Systeme verstehen oder verändern können – Teams, Unternehmen, Gesellschaften – müssen wir lernen, unser eigenes Denken, Fühlen und Handeln als Teil von Systemen zu erkennen. Es geht um mehr als „Systeme managen“ – es geht darum, sich selbst als Teil komplexer Zusammenhänge zu reflektieren.
Diese persönliche Dimension bildet das Fundament eines lebendigen, wirksamen Systemdenkens und des Handelns. Sie schärft deine Wahrnehmung für Wechselwirkungen, stärkt deine Dialogfähigkeit, vertieft deine Reflexion und verändert dein Verhältnis zu Handlung und Verantwortung.
Der Weg dorthin kann über die fünf ineinandergreifende Elemente führen die wir hier vorstellen.
-
Inquiry meint mehr als Informationsbeschaffung. Es ist die Haltung des Nicht-Wissens, des echten Fragens ohne voreilige Antwort. Systemisches Inquiry bedeutet, Fragen zu stellen, die Systeme öffnen – nicht schließen. Es geht darum, neugierig zu bleiben, die eigene Perspektive zu hinterfragen und andere Sichtweisen einzuladen.
Beispiel:
In einem Teammeeting wird ein Projekt als „gescheitert“ bezeichnet. Inquiry bedeutet, nicht sofort zu reagieren, sondern Fragen zu stellen wie: „Was verstehen wir unter Erfolg?“, „Welche anderen Perspektiven gibt es?“
Reflexionsfragen:
Wann habe ich zuletzt eine Frage gestellt, ohne sie beantworten zu wollen?
Notiere drei „offene“ Fragen zu einer aktuellen Herausforderung – ohne Lösungserwartung.
-
Action im systemischen Sinne ist nicht bloß Tun. Es ist bewusstes Eingreifen mit Bezug auf die systematischen Wechselwirkungen und die eigene Rolle darin.
Wichtige Aspekte:
Handlungen im System wirken über das Sichtbare hinaus: Sie verändern Beziehungen, Bedeutungen, Erwartungen.
Systemisches Handeln erkennt emergente Effekte an – kleine Impulse können große Wirkungen entfalten.
Es bedeutet auch, manchmal nicht zu handeln, um Dynamiken Raum zu geben.
Beispiel:
Anstatt bei einer Konfliktsituation direkt zu vermitteln, entscheidet sich eine Führungskraft zunächst dafür, den Raum für Austausch zwischen den Konfliktparteien selbst zu öffnen – ein bewusster Akt des Zurücknehmens als Intervention.
Reflexionsfragen / Mikro-Übung:
Welche Wirkung hatte meine letzte „gut gemeinte“ Handlung? Welche unbeabsichtigten Folgen gab es?
Mache dir heute eine bewusste Intervention im Alltag – z.B. eine Pause, ein bewusstes Zuhören – und beobachte, was daraus entsteht.
-
Systeme entstehen nicht nur aus Strukturen, sondern aus Beziehungen. Interaction betont, dass jeder Austausch die systemische Realität mitprägt.
Wichtige Aspekte:
Jede Interaktion ist ein Resonanzraum – was ich gebe, wird transformiert zurückgespiegelt.
Kommunikation im systemischen Denken heißt nicht, Informationen zu übertragen, sondern Bedeutungen auszuhandeln.
Unterschiedliche Perspektiven sind keine Störung, sondern Quelle von Systemintelligenz.
Beispiel:
In einem Projektteam äußert eine Praktikantin Zweifel am geplanten Ablauf. Die Reaktion des Teams – ob offen oder abweisend – prägt das gesamte weitere Arbeitsklima.
Reflexionsfragen:
In welcher Interaktion diese Woche wurde ich überrascht? Was hat das über meine Erwartungen verraten?
Führe ein Gespräch mit der bewussten Intention, nicht zu überzeugen, sondern zu verstehen.
-
Reflexion bedeutet, einen inneren Abstand zu gewinnen – zur eigenen Sichtweise, zum Geschehen, zum eigenen Beitrag im System. Wichtig hierbei ist Reflexion nicht als eine passive Praxis zu verstehen sondern diese in aktive Prozesse miteinzubeziehen.
Wichtige Aspekte:
Reflexion ist der Raum zwischen Impuls und Reaktion.
Sie ermöglicht Lernen auf der Metaebene: Was habe ich gesehen? Was habe ich nicht gesehen?
Sie ist auch ein Akt der Selbstverantwortung: „Was habe ich ins System gebracht?“
Beispiel:
Nach einem kritischen Feedback nimmt sich eine Führungskraft bewusst 30 Minuten Zeit, um ihre Emotionen, Annahmen und blinden Flecken zu notieren – bevor sie reagiert.
Reflexionsfragen:
Wann hast du dich zuletzt selbst überrascht?
Schreibe heute 5 Minuten lang ungefiltert über eine Situation, die dich beschäftigt – ohne Bewertung.
-
Haltung ist das Fundament. Sie wirkt durch alles, was wir tun – auch wenn wir es nicht bewusst ausdrücken.
Wichtige Aspekte:
Systemisches Handeln verlangt eine Haltung der Demut: Ich weiß nie alles.
Es braucht Verantwortungsbereitschaft: Ich bin Teil des Problems und der Lösung.
Und es lebt von Integrität: Handeln und Werte in Einklang bringen.
Beispiel:
Eine Beraterin entscheidet sich gegen ein lukratives Mandat, weil sie spürt, dass der Auftrag nicht zu ihren Werten passt – ein Ausdruck systemischer Haltung.
Reflexionsfragen:
Wofür stehe ich – auch wenn es unbequem ist?
Welche Entscheidung heute könnte Ausdruck meiner Haltung sein?
-
Die Kairos Cycles greifen diese Dimension systemischen Denkens auf und verbinden sie mit kollektiven, strategischen und organisationalen Perspektiven. In der Aletheia-Phase beginnen wir immer mit dir selbst. Deine Beobachtung. Deine Haltung. Deine Wirkung.