Kybernetische Praxis: Der Jongleure
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Jonglierbälle sind aus den Workshops bei Peripeteia nicht mehr weg zu denken!
Für Peripeteia bietet die Perspektive des Jongleurs ein kraftvolles, tief metaphorisches Bild für die innere Haltung und Praxis des systemischen Denkens und Handelns. In der Isopherie (Integration von Metapher und Philosophie) steht der Jongleure nicht einfach für artistische Geschicklichkeit, sondern für ein bestimmtes Bewusstsein im Umgang mit Komplexität, Dynamik und Gleichzeitigkeit. Seine Kunst wird hier zur epistemologischen Haltung: ein Weg, die Welt zu verstehen und zu gestalten.
Der Jongleure als Verkörperung systemischer Präsenz
Im klassischen Jonglieren werden mehrere Objekte in Bewegung gehalten – scheinbar mühelos. Dies ist jedoch nur möglich wenn folgende Kritikern erfüllt sind:
Gleichzeitige Aufmerksamkeit auf alle Elemente (Systemkomponenten)
Rhythmusgefühl (zeitliche Dynamik, Feedback-Schleifen, Veränderungen)
Raumgefühl (Interaktionen, Umgebungsfaktoren)
Adaptivität (Umgang mit Störungen, Fehlern)
und vor allem: Vertrauen in das emergente Muster, das durch kontinuierliches Tun entsteht.
Der Jongleure weiß: Kontrolle geschieht nicht durch Zwang, sondern durch resonante Koordination. Genau dies fordert auch das systemische Denken: Es fragt nicht nach linearer Steuerung, sondern nach Stimmigkeit in Bewegung.
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In komplexen Systemen geht es nie um „das eine Problem.“ Es besteht eine Vielfalt von wahrgenommenen Problemen oder Schwierigkeiten und eine parallele Existenz von oft unterschiedlichen Perspektiven, Werten und Interessen. Hier hilft uns der Jongleure da er:
jedes Element kurz berührt, aber mit Präzision – wie ein systemischer Coach oder ein Entscheider, der Impulse gibt statt Mikromanagement betreibt.
dem Fluss vertraut– wie systemische Interventionen, die oft nicht planbar, aber in Vorbereitung sind.
akzeptiert Verlust und Wiederaufnahme – wie im System: Kein Element ist dauerhaft stabil. Alles ist Wandel.
Der Jongleur steht daher nicht für Beherrschung, sondern für ein bewegtes Gleichgewicht – ein Begriff, der auch in der Systemdynamik eine zentrale Rolle spielt.
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Der „Jongleure“ ist auch eine Antwort auf das subjektlose Systemverständnis der frühen Kybernetik. Während frühe Systemtheorie den Menschen als Beobachter zweiter Ordnung oder Black Box behandelte, bringt die Metapher des Jongleurs die verkörperte, persönliche Dimension zurück:
Er ist Mitglied des Systems, nicht nur Beobachter.
Er ist resonant verbunden, nicht entkoppelt.
Er lernt nicht durch Analyse allein, sondern durch Erfahrung, Rhythmus und Feedback.
So steht der Jongleure nahe an konstruktivistischen und pragmatischen Systemansätzen (z. B. von West Churchman oder Donald Schön). Er verkörpert ein Lernen in der Bewegung, ein Denken, das in Handlung entsteht – knowing-in-action.
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In einer zunehmend komplexen Welt brauchen Führungskräfte, Berater:innen und Gestalter:innen nicht nur Analysefähigkeiten – sondern:
Multifokusfähigkeit: wie jongliere ich Kundenbedürfnisse, Teamdynamik, Vision und Marktlogik gleichzeitig?
Situative Intelligenz: wie erkenne ich, wann ich eingreifen muss – und wann loslassen?
Fehlerkompetenz: was lerne ich aus dem „Fall“ und wie integriere ich das Neue?
Der systemisch denkende Mensch wird damit zum Jongleure in sozialen Räumen. Seine Kunst ist es, Komplexität nicht zu zähmen – sondern lebendig zu halten.
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Reflexionsübung: Nimm drei Aspekte deines Alltags, die du derzeit “jonglierst” (z. B. Familie, Projekt, Gesundheit).
Frage dich:
Wie beeinflussen sie sich gegenseitig?
Wo entsteht Spannung?
Wo kannst du deinen Rhythmus ändern, statt einen Ball zu „verlieren“?
Körperübung (symbolisch): Versuche, mit drei Gegenständen zu jonglieren – oder mit einem zu starten. Beobachte:
Wie gehst du mit dem ersten Scheitern um?
Wie verändern sich deine Bewegungen, wenn du aufhörst, kontrollieren zu wollen?