Systemische Denker: Peter Checkland (geb. 1930)
Peter Checkland
Peter Checkland ist ein britischer Managementwissenschaftler und gilt als Pionier des weichen Systemdenkens. Sein persönlicher Werdegang spiegelt einen praxisnahen und unkonventionellen Zugang zur Wissenschaft wider. Geboren 1930 in Birmingham und aufgewachsen in einer von Industriewandel geprägten Zeit, entwickelte Checkland früh Interesse daran, wie Systeme funktionieren – seien es technische oder soziale . Nach dem Militärdienst studierte er Chemie am St. John’s College in Oxford und schloss 1954 mit Auszeichnung (First Class Honours) ab . Trotz dieses Erfolgs entschied er sich bewusst gegen eine Promotion – halb im Scherz bemerkte er, dass sich vermutlich „nur sehr wenige Leute dafür interessieren würden“ . Diese Anekdote zeigt bereits Checklands Pragmatismus: Er wollte sein Wissen lieber in der Praxis anwenden, als eine theoretische Doktorarbeit zu schreiben. Statt den Weg eines traditionellen Akademikers einzuschlagen, ging er für zunächst 15 Jahre in die Industrie.
Checkland arbeitete ab Mitte der 1950er Jahre als Manager beim Chemiekonzern Imperial Chemical Industries (ICI) . Dort sammelte er reichhaltige praktische Erfahrung – er leitete Projekte in der Kunstfaserproduktion (Nylon, Polyester) und stieg ins Management auf . Diese Zeit erwies sich als prägend: In der betriebspraktischen Realität stieß er immer wieder auf komplexe, schlecht definierte Situationen, für die die damals verfügbaren Methoden des „harten“ Operations Research keine befriedigenden Lösungen boten . Ende der 1960er wagte Checkland daher den Wechsel zurück in die Wissenschaft, um neue Wege im Umgang mit solchen Problemen zu erforschen. 1969 übernahm er eine Stelle im neu gegründeten Fachbereich Systems Engineering an der Lancaster University . Dort initiierte er ein umfangreiches Aktionsforschungs-Programm: Anstatt nur Theorien am Schreibtisch zu entwickeln, arbeiteten Checkland und sein Team gemeinsam mit Praktikern in echten Problemfeldern und experimentierten mit methodischen Ansätzen direkt vor Ort . Aus diesen zwei Jahrzehnten intensiver Forschung ging schließlich die von ihm begründete Soft Systems Methodology (SSM) hervor .
Systemische Ideen und Beiträge: Peter Checklands Soft Systems Methodology revolutionierte die Art und Weise, wie wir mit komplexen, „verzwickten“ Problemsituationen umgehen. Im Gegensatz zum klassischen, „harten“ Systemansatz – der davon ausgeht, dass Probleme klar definiert und mit technischen Mitteln optimal lösbar sind – betont SSM die Vielschichtigkeit und subjektive Prägung von Problemwahrnehmungen . Checkland prägte selbst die Unterscheidung in “harte” und “weiche” Systeme: Harte Systemmethoden setzen ein eindeutig formuliertes Ziel voraus (etwa ein technisches Optimierungsproblem mit festem Kriterium), wohingegen weiche Ansätze davon ausgehen, dass in menschlichen Angelegenheiten unterschiedliche Wertvorstellungen und Blickwinkel koexistieren . Probleme in Unternehmen oder Organisationen sind oft „Bedeutungsprobleme“ – es geht darum, was eigentlich verbessert werden soll, und verschiedene Beteiligte haben dazu unterschiedliche Ansichten. SSM liefert keinen direkten „Kochrezept“-Lösungsweg, sondern einen iterativen Lernprozess, in dem Beteiligte gemeinsam die Situation erkunden, Rich Pictures (grafische Situationslandkarten) erstellen, mögliche Modelllösungen entwerfen und über deren Folgen diskutieren . Wichtig ist dabei, das richtige Problem zu finden, bevor man es lösen kann. Checkland selbst formulierte es so: Wir sollten lieber von „problematischen Situationen“ sprechen statt von „Problemen“, da letzteres suggeriert, es gäbe eine endgültige Lösung – „das reale Leben ist komplexer als das!“ . Dieses Zitat verdeutlicht seine Denkweise: Realität ist ein dynamisches Geflecht von Faktoren, das man nicht auf einen einfachen Nenner reduzieren kann.
In der Praxis eröffnete Checklands Ansatz völlig neue Möglichkeiten. In den 1970er und 1980er Jahren wurde SSM in zahlreichen Organisationen erprobt – von Industrieunternehmen bis hin zu Behörden – und bewährte sich als wertvolles Werkzeug im Change Management und in der Informationssystem-Entwicklung. Anstatt vorschnell eine technische Lösung zu implementieren, lernten Manager und Teams nun, erst die Perspektiven aller Betroffenen einzubeziehen und gemeinsam ein Verständnis des Problems zu erarbeiten. Checkland zeigte zum Beispiel, wie das Zeichnen von sogenannten „Rich Pictures“ hilft, komplexe menschliche Situationen ganzheitlich zu erfassen: Bilder können Beziehungen und Wechselwirkungen besser darstellen als linearer Text und fördern dadurch ein holistisches statt rein reduktionistisches Denken . Solche Methoden sind heute fest etabliert. SSM wird weltweit gelehrt und angewendet – an Universitäten gehört es zum Standardrepertoire in Systemdenken- und Managementkursen, und in Unternehmen nutzen Berater und Projektteams die Methode, um „vertrackte“ Probleme strukturiert anzugehen . Checklands Differenzierung von hartem und weichem Ansatz hat zudem die Systemwissenschaft selbst beeinflusst: Sie führte zu einer allgemeineren Humanisierung des Systemdenkens, bei der der Mensch nicht mehr als störender „Weichfaktor“, sondern als zentraler Bestandteil jedes Systems gesehen wird .
Auch als Lehrer und Forscher hinterließ Peter Checkland ein nachhaltiges Vermächtnis. An der Lancaster University baute er über fast 30 Jahre ein lebendiges Forscherteam auf und bildete eine Generation von Systemdenkern aus . Viele seiner Schüler wurden selbst zu einflussreichen Experten in Wirtschaftsinformatik, Organisationsberatung und Operational Research, die SSM weiterentwickelten und in neue Felder trugen . Checkland blieb der Wissenschaft auch nach seiner Emeritierung in den 1990ern aktiv verbunden und stand jungen Forschern beratend zur Seite . Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Ehrungen, etwa mehrere Ehrendoktorwürden (u.a. City University London, Open University) , den renommierten Beale Medal der Operational Research Society und den INCOSE Pioneer Award für Systemingenieure . Diese Auszeichnungen unterstreichen, wie sehr er die Denkweise in Management und Ingenieurwesen geprägt hat.
Heute finden sich seine Ideen in vielen Bereichen wieder: In der Geschäftsprozessanalyse, der Organisationsentwicklung und sogar in Gemeindeprojekten zur Stadtplanung werden weiche Systemmethodeneingesetzt, um mit komplexen Situationen umzugehen, in denen kein Konsens über Ziele und Lösungen besteht. Peter Checklands Ansatz hat damit einen festen Platz in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft – überall dort, wo es darauf ankommt, komplexe menschliche Systeme verstehbar und gestaltbar zu machen.